Zentrum für Beduinenstudien und -entwicklung an der Ben-Gurion Universität

 

Das Zentrum für Beduinenstudien und -entwicklung an der Ben-Gurion Universität des Negev wurde 1998 gegründet und dokumentiert, archiviert und verarbeitet lokale und internationale Materialien über die Beduinengesellschaft in Israel, ihren Wandlungsprozess und die Transformation anderer traditioneller Gesellschaften in der Welt. Studien des Zentrums sollen externe, gleichermaßen wie interne, Hindernisse erfassen, analysieren und Förderprojekten - aus den Bereichen Erziehungs-,  Sozial-, Gesundheits- und Gemeindewesen - zugute kommen, die am Aufbau einer Brücke zwischen „Moderne“ und „Tradition“ beteiligt sind. Hoffung ist, ein Überleben der Traditionen von (israelischen) Minoritäten zu sichern und gleichzeitig ihren Stellenwert innerhalb der "modernen" (israelischen) Gesellschaft anzuheben.

 

Ben-Gurion Universität des Negev: Homepage: http://www.bgu.ac.il (Photo: C. Müller)

 

 Dr. Ismael Abu Saad, der erste Institutsleiter des Zentrums, berichtet über seine Motive für dessen Gründung:
 

„Meine Grundschule war ein einziger Klassenraum in einer Asbestüberdachten Baracke: erste Reihe - erste Klasse, zweite Reihe - zweite Klasse, dritte Reihe - dritte Klasse, vierte Reihe - vierte Klasse. Der Lehrer war gleichzeitig der Schuldirektor, der Hausmeister und der Wächter. Von der fünften bis zur neunten Klasse ritt ich auf einem Esel neun Kilometer bis zur nächsten Schule. Da es keine Oberschule in der Gegend gab, schickte mich mein Vater in ein Internat im Norden Israels.

Ich entschied mich für den Bereich Bildung, da hier die meiste Arbeit getan werden muss. Die Beduinen aus dem Süden Israels haben die höchste Rate der Geburten- und Kleinkindersterblichkeit, die höchste Rate vorzeitigen Schulabbruchs und die höchste Arbeitslosigkeit - gepaart mit der niedrigsten Rate der Lese- und Schreibfähigkeit. In  vielen Gesichtspunkten sozusagen eine „Dritte-Welt-Insel“ im „High-Tech-Ozean“ Israel.

 

Normalerweise können Beduineneltern nicht alle ihre Kinder ausbilden. Deshalb wollte ich sehen, was passiert, wenn die Universität den Beduinenfrauen volle Stipendien anbietet. Es klappte! 1994 gab es gerade einmal acht immatrikulierte Frauen an der BGU - heute sind es 147 (2002).

Wir eröffnen auch neue Wege zur akademischen Weiterbildung für beduinische Studenten. Üblicherweise studieren die meisten Geistes- und Sozialwissenschaften, aber in diesem High-Tech-Land müssen wir die Studenten auf ihr Weiterkommen in den Naturwissenschaften und modernen Technologien vorbereiten; deshalb begannen wir mit dem Budding-Scientists-Programm, [budding: engl. knos­pend] in dem den beduinischen Abiturienten einmal pro Woche Physik, Mathematik und Englisch unterrichtet wird. Dieses Jahr sind bereits viele der Studienanfänger in allen Fakultäten der BGU eingeschrieben – inklusive Ingenieurs- und Naturwissenschaften. ( Zentrum für Beduinenstudien und -entwicklung 2000, A Way Ahead)

 

 

Eine veröffentlichte Studie des Beduinenzentrums von 1998 befasste sich mit dem Thema:          

 

Einfluss der Sesshaftwerdung auf den Drogenkonsum bei Nomaden in Israel und in Kenya

Projektkoordinator: Ismael-Abu-Saad, PH.D.

 

Die Beduinen des Negev und die Masai im Kajiado-Distrikt Kenias teilen ein ähnliches Schicksal: den Wandlungsprozess von einer traditionellen nomadischen Gesellschaft, die ihr Leben - staatlich verordnet - in Plansiedlungen weiterführen soll. Ismael Abu Saad von der Ben-Gurion Universität (Institut für Erziehungswissenschaften) und Dr. John Mburu, von  der Universität in Nairobi (Institut für Psychiatrie) erstellten eine vergleichende Studie über den Konsum von Tabak, Alkohol und Drogen beider Bevölkerungsgruppen und kamen zu folgendem Ergebnis:

 

Die Beduinen in den "nicht-anerkannten/illegalen" Siedlungen zeigten sich mit ihrem sozialen Umfeld und der Infrastruktur unzufriedener als diejenigen in den Planstädten. Die Masai hingegen bevorzugten - mit Ausnahme der Gesundheitsdienste - die Lebensumstände außerhalb der Siedlungen.

 

Die Studie sollte untersuchen, ob der traumatische Übergang von einem nomadischen zu einem sesshaften Leben den Konsum von Zigaretten, Alkohol und anderen Drogen erhöht. Unter den Masai befragte man Frauen und Männer, in der Beduinengesellschaft nur Männer, da für Frauen ein striktes Verbot für Zigaretten, Alkohol und sonstige Drogen besteht.

 

Durchschnittlich rauchen 64 % der Negev-Beduinen Zigaretten, 30 % trinken Alkohol und 15 % konsumieren andere Drogen. Nur 8 % der Masai konsumieren Zigaretten, obwohl auch Tabak gekaut oder geschnieft wird; ca. 39% trinken Alkohol und 24 % nehmen andere Drogen.

Bei den Beduinen rauchen in den Planstädten 55%, in den spontanen Siedlungen 74% der Befragten. Der Alkoholkonsum lag für beide Gruppen bei ca. 30%, der Drogenkonsum bei 15%.

Die  Masai hingegen rauchen (14%) und trinken (44%) in den Planstädten mehr als außerhalb (Tabak: 2%; Alkohol: 34%); nehmen in den Städten aber weniger Drogen (Land: 33%; Stadt: 15%). Männer konsumieren insgesamt doppelt so viel wie Frauen.

 

Während bei den Beduinen die Tabak- und Alkoholkonsumenten meist unter 36 Jahre alt sind, gehören hierzu bei den Massai vor allem die über 35-Jährigen. Sonstige Drogen gebrauchten in beiden Gruppen hauptsächlich die unter 36-Jähri­gen.

 

Bier ist bei den Beduinen das beliebteste alkoholische Getränk. Wobei die Masai neben diversen Biersorten auch andere traditionelle alkoholische Getränke trin­ken.

 

Zu den verwendeten Drogen der Beduinen gehören Marijuana, Haschisch, Kokain und Heroin. Die Masai nahmen bevorzugt nicht-kommerzielle Drogen wie Khat und Cannabis.

 

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"Die Jugend der Beduinen in Israel leidet unter dem Fehlen eines angepassten Bildungsangebotes. Die Folgen sind neben einer äußerst hohen Rate des Schulabbruches, Inaktivität, Trägheit, wirtschaftliche Not, Verzweiflung und das Gefühl gefangen zu sein. Außerhalb ihrer eigenen Gemeinde und besonders inmitten der jüdischen Gesellschaft fühlt sich die Beduinenjugend unerwünscht.

Zigaretten, Alkohol und Drogen füllen die Leere in ihrem Leben innerhalb und außerhalb der Siedlungen und der Weg von dort in die Kriminalität ist leider nur ein kurzer. Mit dem Drogenkonsum kommen die jungen Leute zum Drogenhandel und andere Delikte, vor allem Einbruch und Autodiebstahl, um die Rauschmittel zu bezahlen, folgen. In den letzten 10 Jahren gab es einen enormen Anstieg krimineller Taten.

 

Den Masai geht es vergleichsweise besser, denn ihre festen Siedlungen sind größer angelegt und den Familien bleibt der Zugang zu mehr Weidefläche für die Zucht von Kleinvieh und den Anbau von landwirtschaftlichen Produkten.

 

Die Beduinen des Negev leben zusammengepfercht in kleinen Häusern, die auf kleinen Grundstücken errichtet werden und es bietet sich nicht die Möglichkeit zumindest noch einen Teil ihres vormaligen  Lebensstils weiterzuführen."  (Ismael Abu Saad)

 

 

Beduinen
au­ßerhalb
der Planstädte

Beduinen
in­nerhalb
der Planstädte

Masai
außer­halb
der Planstädte

Masai
inner­halb
der Planstädte

Alkohol

30 %

31 %

34 %

44 %

Tabak

74 %

55 %

  2 %

14 %

Sonst. Drogen

15 %

15 %

33 %

15 %

 

Gemäß der o. g. Studie kann lediglich geschlossen werden, dass die Beduinen in den staatlichen Siedlungen weniger Tabak konsumieren als außerhalb; die Masai hingegen außerhalb der Siedlungen weniger rauchen und trinken als innerhalb, dies aber mit einem erhöhten Khat- und Canabis-Konsum wieder ausgleichen.

Ein Mangel der Studie liegt im Vergleich beider Gesellschaften, ohne Berücksichtigung der Beduinenfrauen, vor. Da die Frauen der Masai nur halb so viel Alkohol, Tabak und sonstige Drogen konsumieren wie Männer, müssten die Angaben über die Masai zu Vergleichszwecken mit den Beduinen ca. um ein Viertel höher liegen. Oder man hätte die Masai-Frauen ebenso unberücksichtigt lassen müssen.

 

Interessant wäre ein Vergleich mit dem Tabak-Alkohol-Drogenkonsum der jüdisch-israelischen Gesellschaft. Die Universität Haifa beschäftigte sich 1999 mit dem wachsenden Drogenkonsum in Israel und stellte fest, dass  „7% der erwachsenen Israelis und 10% der Jugendlichen verbotene Drogen zu sich nehmen. Haschisch (Marijuana) wird aus dem Libanon geschmuggelt, Heroin kommt aus der Türkei und aus Thailand.” (http://research.haifa.ac.il/~focus/1999-Winter/f05.html). 26% der männlichen Israelis und 10% der weiblichen tranken 1997 gemäß einer WHO-Studie, regelmäßig Alkohol (http://www.who.int/substance_abuse/PDFfiles/globsta_ alcoyoung%20people.pdf) und 22,4% aller Schulabgänger der 12. Klasse sind regelmäßige Raucher.

Hiernach liegt der Zigarettenkonsum bei den Beduinen ca. drei mal höher und der Konsum sonstiger Drogen doppelt so hoch wie bei den jüdischen Israelis. Der Alkoholkonsum liegt um ca. 50% höher. Wobei auch hier jüdische Israelis und Israelinnen nur männlichen Beduinen gegenübergestellt sind.

 

Tatsache ist, dass die Beduinen außerhalb der Siedlungen durch den rigorosen staatlichen Druck einem hohen psychischen Stress ausgesetzt sind.

 

 

Die Kernpunkte des Zentrums für Beduinenstudien und -entwicklung

 

sind:

 

   die Organisation von Förderprogrammen zur Verbesserung der Ausbildungsqualität an den Beduinenschulen und Weiterqualifizierung für eine höhere Ausbildung (z.B. Universität).

 

  Unterstützung von Projekten für die Entwicklung der Gemeinden. Sie werden von Studenten geleitet als Gegenleistung für erhaltene Stipendien.

 

   Förderung und Entwicklung neuer pädagogischer, medizinischer und sozialer Programme, die den Prozess des kulturellen und sozialen Wandels erleichtern und bereits bestehende Programme verbessern sollen.

 

  Bildung eines internationalen Netzwerkes von Akademikern, Fachleuten und Studenten mittels der Organisation von Konferenzen, die sich Themenschwerpunkten aus der Beduinengesellschaft und Problemen von Gesellschaften in der Transformation widmen.

 

  Förderung internationaler Forschungsinitiativen über das Kulturerbe, den Transformationsprozess und die gegenwärtigen sozialen Bedürfnisse der Beduinen des Negev und des gesamten Mittleren Osten.

 

   Leitung von Workshops für Akademiker, lokale Pädagoge, Regierungsrepräsentanten und Gemeindevertreter

 

   Förderung eines internationalen Austauschprogramms für Studienabsolventen zur Primärforschung in Beduinenstudien

 

   Unterstützung und Anleitung bei Forschungen über die Beduinengeschichte und ihr Erbe

 

   Akademische Unterstützung für leitendes Personal, Lehrer und Verwaltungsangestellte in der Beduinengesellschaft

 

   Veröffentlichung von Primärforschungen über pädagogische, soziale, historische und kulturelle Aspekte nomadischer Gesellschaften in der Transformation.

 

   Eröffnung eines Dokumentationszentrums mit einer Datenbank, die eine Basis für künftige Forschungen bieten kann. Das Dokumentationszentrum wird bereits existierende Filme und Fotographien archivieren und traditionelle Handlungen filmen, bevor sie verschwinden.

 

    Mit den Einnahmen aus einem jährlich erscheinenden Newsletter werden Stipendien für Beduinenstudent/-innen gefördert.