E r z i e h u n g s w e s e n

 

Die Ben-Gurion Universität des Negev macht sich seit Jahren zur Aufgabe das sozio-ökonomische Gefälle in Israel - nicht nur von Nord nach Süd, von Tel Aviv in die Wüste Negev, sondern auch innerhalb der Region, die geprägt ist von einem extremen Bevölkerungsgemisch,  z.B. zwischen Omer (einem jüdischen Vorort Beershevas) und Tel Sheva (einem beduinischen Vorort Beerschevas und direkter Nachbar von Omer) oder zwischen Tel Sheva und den "nicht-anerkannten Siedlungen" - auszugleichen. Ziel der Universität ist, die gesamte Region auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bestmöglich vorzubereiten, wobei seit Gründung des Zentrums für Beduinenstudien und -entwicklung 1998 ein besonderes Augenmerk auf die Ausbildung der Beduinen, vor allem der Beduinenfrauen, gelegt wird. Durch zusätzliche Förderkurse am Ende und nach der Schulzeit soll es auch ihnen ermöglicht werden, den sprachlichen und naturwissenschaftlichen Anforderungen einer Universität entsprechen zu können.

 

     (Quelle: Zentrum für Beduinenstudien und -entwicklung)

 

 

 

Geschichte des israelischen Erziehungswesens

 

1953 arbeitete die israelische Regierung den ersten Lehrplan für die arabische Bevölkerung aus - an deren Kommission nicht ein arabischer Vertreter Teil nahm. Somit wurde schon im Ursprung der Grundstein gesetzt, dass weder die Kultur der Palästinenser im allgemeinen, noch die der Beduinen im besonderen,  berücksichtigt wurden (Abuhani 1995: 4). Das staatliche Bildungsgesetz definierte seine Ziele wie folgt: »Die Volksschulausbildung des Staates werde auf den Werten der jüdischen Kultur und den Leistungen der Wissenschaft, auf der Liebe zum Heimatland und der Loyalität zum Staat und dem jüdischen Volk beruhen«. Der Lehrplan der arabisch-beduinischen Schulen enthält bis heute keine Bestandteile der arabisch-beduinischen Kultur, der Unterricht findet hauptsächlich in hebräischer Sprache statt; arabische Feiertage finden nur zum Teil Berücksichtigung (islamisches Neujahr, Ramadan und  das Opferfest). Pflichtfächer sind jüdische Geschichte, jüdische Kultur und das Alte Testament. Im Gegensatz hierzu umfasst der Lehrplan aller jüdischen Schulen weder die arabische Geschichte, noch ist Arabisch Pflichtfach und wird nur freiwillig angeboten (Abuhani 1995 : 149).

 

Die kostenlose jedoch obligatorische Schulausbildung bedeutet für kinderreiche Familien nicht nur einen Vorteil, denn zusätzlich anfallende Kosten für Schulbücher, -kleidung, Fahrgeld und die ausfallende Arbeitskraft (z.B. für das Hüten des Kleinviehs oder zur Beaufsichtigung der Kleinkinder) bedeuten für viele eine weitere finanzielle Belastung (Abuhani 1995: 64).

 

Die Analphabetenquote der Beduinen sank von 1948 bis heute von über 95 Prozent auf ca. 25 Prozent ab. Einen großen Erfolg nennt es die Ben-Gurion Universität, dass neben 216 Beduinen-Studenten heute (2002) auch 147 Studentinnen an der Universität eingeschrieben sind. 1998 waren es gerade einmal acht.

 

  (Photo: C. Müller)

 

Auch wenn die Anzahl der Absolventinnen gegenüber den Absolventen in den letzten Jahren überproportional zunahm, …

 

 

(Quelle: Zentrum für Beduinenstudien und –entwicklung)

 

 

… bleiben Frauen noch immer unterrepräsentiert: [Im Wintersemester 2002/2003 trat eine entscheidende Wendung ein - die eingeschriebene Anzahl der Frauen übertraf mit 178 die Anzahl der eingeschriebenen Männer mit 171; BGU Newsletter 2003]

 

 

 (Quelle: Zentrum für Beduinenstudien und -entwicklung)

 

Insgesamt gibt es im Negev 52 Schulen für die Beduinenkinder, hiervon 36 Grundschulen (11 in den "nicht-anerkannten" Siedlungen) und je 8 Mittel- und Oberschulen (die sich alle in den Plansiedlungen befinden). Gemäß dem 1998 erstellten Katz-Report, der die Bedürfnisse eines funktionierenden Beduinen-Bildungssystemes untersuchte, müssten jährlich 146 neue Klassenräume eingerichtet werden, um mit der wachsenden Anzahl Schüler mithalten zu können.

 

40% des beduinischen Lehrpersonals muss derzeit noch aus der nicht-beduinischen arabischen Bevölkerung in Nordisrael eingestellt werden. Auch mit den hinzugezogenen Lehrkräften besteht ein Mangel an ca. 23% qualifiziertem Fachpersonal. Es gibt außerdem weder Schulräte, Bibliothekare, Laboranten noch Techniker in den Grundschulen, auch in den Mittel- und Oberschulen herrscht große Personalknappheit. Die Positionen in der Aufsichtsbehörde (für die Fächer Mathematik, Naturwissenschaften, Sprachen, Geschichte, Geographie, Sozialwissenschaften, Musik, Sport, usw.) der Grund- und Mittelstufe sind nur mit jüdischen Israelis besetzt und die „vor Ort, in den Beduinen-Araber-Schulen selten bis überhaupt nicht gesehen  werden“ (Abu-Sa’ad, 1995).

 

Die Abiturquote der Beduinen liegt bei ca. 10 %. Im übrigen arabischen Sektor bei ca. 23% und bei den 17-jährigen jüdischen Israelis bei ca. 44%.

 

 (Quelle: Zentrum für Beduinenstudien und –entwicklung)

 

Das Kindergartenpersonal in den Beduinensiedlungen ist zu 100 Prozent weiblich  - je höher die Klassenstufe, desto geringer wird die Anzahl der Lehrerinnen. Kaum eine Frau unterrichtet an einem Gymnasium. Die Geschlechterrollen in dieser traditionellen Gesellschaft wahren noch immer die Meinung, dass Männer außerhalb des Hauses arbeiten müssten, um ihre Familien zu ernähren und Frauen zu Hause zu bleiben haben. Ihnen wird nicht zugestanden, genügend Autorität zu besitzen, um die Kinder zu unterrichten, so dass ihre Aufnahme in den Berufsstand der ‚Lehrerin’  bei weitem nicht willkommen geheißen wird. 

 

(Photo: C. Müller)

 

Die Anzahl der eingeschriebenen Studenten hat sich seit der Gründung des Zentrums  für Beduinenstudien und –entwicklung 1998 vervielfacht. Im Jahr 2000 abso­vierten 33 Beduinen ihr Grund- und Hauptstudium. Wobei in jenem Jahr zum ersten Mal ein Beduine sein Hauptstudium an der BGU abschließen konnte. Im Jahr 2001 waren es insgesamt 62 und im Sommer 2002 363 eingeschriebene Studenten: hiervon befinden sich 224 im Grundstudium, 92 im Hauptstudium und 19 besuchen Prüfungs-, 28 Vorbereitungskurse.

 

Neben den Problemen im Erziehungssystem befinden sich die Lehrer/-innen selbst in einer ungewöhnlichen Situation, denn ihnen wurde die Aufgabe übertragen, innerhalb einer traditionellen Gesellschaft ‚Modernisierung’ zu verbreiten. ‚Leistung’ wird nun betont, entgegen den traditionellen Werten der Stammesverwandtschaft und des ‚Status’ - einer der größten Veränderungen im Leben der heutigen Beduinen.

 

 

(Quelle: Zentrum für Beduinenstudien und -entwicklung)

 

Weitere Hindernisse auf dem Weg zur Universität ist zum einen der in Israel obligatorische und auf dem westlichen Erziehungssystem basierende ‘Psychometric-Test’, dessen Bestehen eine Vorraussetzung für die Immatrikulation an einer israelischen Universität darstellt -  selbst viele jüdische Israelis sind dieser Anforderung nicht gewachsen. Zum anderen existieren keine ausreichenden Fördermittel wie Stipendien. 1982 empfahl das Katzav-Komitee die Universitätsgebühren anzuheben - was tatsächlich geschah. Die jüdischen Studenten erhielten daraufhin ‘Armee-Veteranen’-Stipendien, auf welche arabi­sche Studenten, die zu 90 Prozent keinen Militärdienst leisten (ebenso Beduinen),  kein Anrecht haben - Beduinen, die in der Armee gedient hatten, konnten oft nicht die benötigten akademischen Papiere vorweisen.

 

Die Marginalität der Beduinengesellschaft in Israel, ihr niederes sozio-ökonomisches Niveau und das Fehlen jeder offiziellen Ermutigung, haben dazu geführt, dass sich die schulischen Leistungen der Beduinenjugend auf dem niedrigsten Stand im Land befinden (Abu-Sa’ad, 1996). Nahezu 60% der Negev-Beduinen-Kinder verlassen die Schule vor Vollendung der 12. Klasse. [Eine Abschlussprüfung nach der 9. oder 10. Klasse ist nicht vorgesehen.]

 

(Quelle: Zentrum für Beduinenstudien und –entwicklung)

 

Die Beduinenausbildung benötigt vor allem:

a)         Moderne Einrichtungen (Gebäude, Werkstätten, Computer, Bibliotheken, Sporthallen, usw.)

 

b)         Die gesamte Bandbreite professioneller Erziehungsleistungen mit Personal aus der Beduinengemeinde
            (pädagogisches Aufsichtspersonal, Berater, Erziehungspsychologen, Sonderschullehrer, Krankenschwestern, usw.)

 

c)         Sonderprogramme, wie z.B. ‘Ganztagsschulen’, sollten für wirtschaftlich benachteiligte Gemeinden geschaffen werden 

 

d)         Wie im jüdischen Sektor sollten für Begabte und Behinderte, gemäß ihren Fähigkeiten, gesonderte Programme

            zur Verfügung stehen.

Um eine Lösung für die hohe frühzeitige Abbruchrate der Mädchen zu finden, muss außerdem berücksichtigt werden, dass eine gesonderte Erziehung für Mädchen und Jungen (ähnlich wie in den religiösen jüdischen Schulen) notwendig ist.  Die
Lehrpläne und Schulbücher sollten aktualisiert werden, um die Schüler auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts vorzubereiten. Ebenso sollten diese auf Berücksichtigung der beduinischen Identität, Kultur, ihres Erbes und die Eignung für den radikalen sozialen Umbruch in der heutigen Gesellschaft überprüft werden. Die technische Ausbildung in den Beduinenschulen muss erweitert und gefördert werden. Wichtig sind Bildungsprogramme, welche die grundlegenden und zeitgemäßen Fertigkeiten der Elektronik, der Computerwissenschaften und der Telekommunikation auch innerhalb der Beduinengesellschaft vermitteln. Das Konzept „Ein Computer für jedes Kind" sollte wie in der übrigen Gesellschaft Israels auch im Beduinen-Sektor verwirklicht werden (Ismael Abu Saad). Deshalb bedarf es zusätzlicher  Weiterbildungsprogramme für Lehrer, Techniker und EDV-Sup­port, um einen Pool von Ausbildern zu schaffen, die in der Lage sind, ein fortschrittliches technologisches Programm in den Beduinenschulen anleiten zu können.