Z u k u n f t ?
Der kulturelle Wandel, der sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts durch den Einzug der „Moderne“ in den Nahen und Mittleren Osten vollzieht, fordert nicht nur die Anpassungsbereitschaft der einheimischen Bevölkerung, sondern auch das Verständnis und die Rücksichtnahme des heute in Israel dominierenden Gesellschaftsteils, der droht, ein seit Jahrhunderten währendes Sozial- und Gesellschaftsgeflecht gänzlich auszulöschen. Die Bemühungen amerikanischer und israelischer Sozialwissenschaftler/-innen, einen von den Beduinen akzeptierten Weg der Transformation zu finden, dringen in einer Zeit der Rezession und der ausschließlichen Gedanken um die eigene Not nicht bis in die israelische Gesellschaft vor. Eine wohlwollend erstellte Broschüre des israelischen Ministeriums für Erziehung, Kultur und Sport über die ‚positive’ Entwicklung im Beduinen-Bildungswesen zeigt, dass selbst den israelischen Ministerien noch nicht aufgefallen ist, dass Beduinen im allgemeinen nicht blond sind und einen romantischen Sonnenaufgang am Horizont derzeit mit Sicherheit nicht genießen können.
Ministerium für Erziehung, Kultur und Sport: „Wandel im Erziehungswesen der Beduinen“
Es dominieren Klischeevorstellungen, die sich auch in den Medien zeigen, wie beispielsweise in einer Werbung der Tageszeitung Jediot Haarachonot vom 09.01.1998 für das Anzeigenblatt BONUS: „Dies ist das Auto und das Haus, das ich in der Rubrik Immobilien von BONUS gefunden habe“:
Eine „Verniedlichung“ der Beduinen und ihrer akuten Problematik, die zeigt, mit welcher Wertigkeit der „Durchschnittsisraeli der Moderne“ in seinem vollklimatisierten Wagen japanischer Marke durch das ehemalige Land der Beduinen fährt.
Die Beduinen werden nicht nur von der Landkarte, sondern auch aus dem
Bewusstsein verdrängt - begleitet durch ein Misstrauen gegenüber den
Wüstenbewohner, da sie sich auch den Palästinensern zugehörig
fühlen. Von der heutigen israelischen Regierung und einem Großteil der
Bevölkerung kann derzeit keine positive Wendung zugunsten der verelenden
Beduinenbevölkerung erwartet werden. Es ist somit entscheidend, dass die
Beduinen selbst Kräfte entwickeln, um ihren gesellschaftlichen Umbruch aktiv
mitzugestalten. Ein wichtiges Element hierzu ist die [westliche] Schulbildung,
denn nur mittels einer Brücke der Verständigung zwischen Moderne und Tradition
kann die beduinische Kultur - auch außerhalb der Museen - bewahrt werden.
Anstatt sich fast ausschließlich auf einige wenige Studienrichtungen (Erziehungswissenschaften, Medizin/Pharmazie oder Psychologie) zu beschränken und sich somit nur im Kreise zu drehen, sollten die Beduinen sich mit der ganzen Bandbreite des Studienangebotes vertraut machen und gezielt die ihnen nutzbringenden Fächer wählen.
Die Mehrzahl
der beduinischen Studenten (176) ist in der Fakultät der Geistes- und
Sozialwissenschaften immatrikuliert. Hiernach folgt die Fakultät des
Gesundheitswesens (27), der Naturwissenschaften (13),
Ingenieurwissenschaften (8 männl. Studenten) und die Managementschule (3
Männer). (Quelle: Zentrum für Beduinenstudien und -entwicklung)
Als Kenner der Wüste könnten sie sich beispielsweise dem - von den Israelis zwar geplanten, aber bis heute nicht realisierten - Projekt der Meerwasserentsalzung annehmen und entsprechende Fächer wie Hydrologie, Geologie, Wasserwirtschaft, Ingenieurswesen usw. studieren. Andere wertvolle Studiengänge könnten sein: Solar- und Windenergietechnik, Agrarwirtschaft (Bewässerungstechnik), Umwelt und Ressourcenmanagement, Recycling, Abfallwirtschaft, Städteplanung (speziell für indigene Völker!), Architektur, Bauingenieurswesen, Straßenbau, Volks- und Betriebswirtschaft, Staatsrecht/Völkerrecht, Rechtswissenschaften, Politikwissenschaften, Internationale Beziehungen, Außenwirtschaft/int. Management, Banken- und Finanzierungswesen, Sozialverwaltung, Steuerverwaltung, Statistik, Telekommunikation und Informationstechnik, Netzwerkinformatik, Computervisualistik, (Klinische) Ingenieurswissenschaften, Bioinformatik, Bio-/Medizin, Tourismus (Erholungs- und Gesundheitswesen am Toten Meer und in der Wüste), Archäologie, Geschichte, Fachübersetzen/-dolmetschen usw.
Eine beduinische Studentin berichtete, dass es nicht daran liegt, dass die Beduinen selbst o. g. Studiengänge nicht in Betracht ziehen und überwiegend den sozialwissenschaftlichen Bereich wählen. Der Grund liegt vielmehr in der nicht erreichten Punktezahl bei der Aufnahmeprüfung der Universitäten, dem Psychometrik, bei dem unter großem Zeitdruck, nach dem Erreichen des Abiturs, nochmals der Wissenstand geprüft wird. Hier erreichen die Beduinen meist nur 400 Punkte, die für das Studium des Lehramts reichen, nicht jedoch für die naturwissenschaftlichen Fächer, Medizin, etc. bei denen 700, 800 Punkte und mehr erwartet werden.
Am Ende der Ausbildung bleibt jedoch die Frage: Wo soll der beduinische Universitätsabsolvent nun arbeiten? Aus „Sicherheitsgründen“ haben arabisch-beduinische Akademiker bis heute keinen Zutritt als Ingenieure, Techniker und Abteilungsleiter in den gehobenen, gut bezahlen Stellungen der israelischen Industrie und Wirtschaft. (Abuhani 1995 : 83).
Die Ben-Gurion Universität ließ futuristische Pläne über den notwendigen Ausbau der Infrastruktur, auch in der Beduinenregion (heute fährt nicht einmal ein Bus in die Plansiedlungen) und Kalkulationen erstellen, über den Bau von Autostraßen, Eisenbahnnetzen/-stationen, einem Flughafen, Wirtschafts- und Industriezonen (auch innerhalb oder in näherer Umgebung der Planstädte) und der Förderung des Tourismussektors durch die Beduinen selbst.
Diese Planungen wird die Regierung wahrscheinlich erst näher in Betracht ziehen, wenn weitere Hunderttausende jüdischer Neueinwanderer, wie von der WZO (World Zionist Organisation) bis 2010 geplant, den Negev besiedeln.
(Lithwick 2000 „An Urban Development Strategy for the Negev’s Bedouin Community: 112)
Die ungelösten und seit der Sharon-Regierung massiv zunehmenden Spannungen, welche sich zu einer weiteren Entfremdung und letztendlich zu einer Feindseligkeit gegenüber dem Staat entwickeln, könnten innerhalb kürzester Zeit zum völligen Zusammenbruch des bisherigen Vertrauens im noch ruhigen Negev führen. Soziale und pädagogisch unterstützende Projekte - für beide Seiten - vor allem im Erziehungswesen, könnten hier einen entscheidenden Beitrag zur Prävention eines neu entstehenden Konfliktherdes beitragen.
Auch innerhalb der beduinischen Gesellschaft müssten zahlreiche Gewaltherde entschärft werden. Noch immer existiert die Blutrache und eine hierarchische - an ein feudalistisches System erinnernde – Familienstruktur (Alean al-Krenawi, Leiter des Beduinenzentrums an der BGU seit 2001). Frauen sehen sich vor allem in den Plansiedlungen vermehrter Gewalt innerhalb ihrer Familien ausgesetzt. Ein Report von Julie Cwikel und Nurit Barak (2002) „The Health and Welfare of Bedouin Arab Women in the Negev” berichtet über 48% der Frauen, denen Gewalt widerfuhr (auch Vergewaltigungen), 31 % hiervon im eigenen Haus. Die Frauen leiden folglich unter Depressionen und häufigen Krankheiten. Gründe für die zunehmende Gewaltbereitschaft der Männer sind eigene Selbstzweifel und Unzufriedenheit (die Arbeitslosigkeit liegt derzeit wie bereits erwähnt bei ca. 60 - 80%).
Und noch ein Wort zur beduinischen Familienplanung: Wie kann ein Mann mit 3 Frauen und 26 Kindern jedem einzelnen dieser Kinder gerecht werden? Auch wenn mit Stolz berichtet wird, dass „… jeder immer alles bekommt … wenn nicht von der Mutter, dann vom Onkel oder dem Bruder“, wird realistisch betrachtet - ohne Einbezug der arabischen Bescheidenheit - nur der große Mangel weiter gereicht. Anstatt „großen Mangel“ zu verteilen, sollte auch in der Beduinengesellschaft selbst darüber nachgedacht werden, wie die eigene Produktivität verbessert und schließlich effektiv und gemeinnützig eingesetzt werden kann - angefangen bei einer Familienplanung, mit dem Slogan „Drei statt Acht“ und der Förderung des/der Einzelnen, gemäß seinen Fähigkeiten, in Berücksichtigung der Bedürfnisse der Gemeinschaft bis hin zum Ablegen einer starren Familienhierarchie, welches bereits bei Kindern, die eine Basis legt für das Fehlen des notwendigen "Rückrates" bzw. Selbstbewusstseins, welches notwendig ist, um sich inmitten einer dominierenden „westlichen Kultur" durchsetzen zu können.
Fazit: Parallel zu den Forderungen der Beduinen an die israelische Regierung und Gesellschaft, d.h. der Anerkennung ihrer Besitzrechte, einem Stopp der Zerstörung von Häusern, Moscheen und Friedhöfen, der finanziellen Entschädigung für den Verlust ihrer Schafherden und die Abschaffung der »Green Patrol« - muss auch eine Reform innerhalb der Beduinengesellschaft einsetzen bzw. forciert weitergeführt werden. Nur wenn die Gemeinschaft der Beduinen gemeinsam erstarkt, sich gegenseitig fördert und dem „Feinde“ sein technisches, juristisches und betriebswirtschaftliches Handwerk erlernt, kann sich eine Brücke zwischen „Tradition“ und „Moderne“ und somit Hoffnung auf eine prosperierende Zukunft entwickeln.